Quelle:Riesengebirgsheimat – Heimatblatt für die ehemaligen Kreise Trautenau und Hohenelbe – 17. Jahrgang

Wohlauf nach Prag – mit Hauptmann Uffo Horn voran!

Eine kleine heimatkundliche Episode aus dem tollen Jahr 1848

Von Oberlehrer Alois Tippelt

Im Jahre 1848 krachte es in Europa an allen Ecken und Enden, vor allem der absolute Kaiserstaat Österreich wurde durch den Sturz des allgewaltigen Metternich in seinen Grundfesten erschüttert. Die Völker hatten es einfach satt, weiterhin von reaktionären Mächten regiert zu werden, sie sehnten sich nach Freiheit in Einheit und wollten Menschenrechte durch eine Verfassung garantiert haben. Doch dieser Umschwung vom absoluten zum konstitutionellen Staate vollzog sich auf dem breiten Lande weit ruhiger – man möchte sagen "gemütlicher" als in den großen Städten z. B. Wien und Prag. Letzteres war in seiner Geschichte ja schon immer heißer Boden gewesen. Zur Niederwerfung des 48ger Prager Pfingstaufstandes mußten schließlich reguläre kaiserliche Truppen unter Führung des Fürsten Windischgrätz eingesetzt werden; aber auch in den folgenden Wochen brodelte es in Prag weiter, so dass zwecks Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit die sz. Garden und Schützenkorps aufgerufen wurden. An diesen zum Schutze des Vaterlandes eingeleiteten Aktionen waren neben mehreren Garden aus dem Riesengebirge auch das Trautenauer Schützenkorps unter Führung des sz. Schützenhauptmanns und Literaten Uffo H o r n mit beteiligt. Hören wir nun, was die Chronisten über jenen denkwürdigen Marsch vaterländisch bewußter Riesengebirgler nach Prag uns überliefert haben.

Am 14. Juni 1848 gelangten nach Trautenau neue schlimme Nachrichten aus Prag, die dahin lauteten, dassi. d. H. von tschechischen Studenten angestiftete weitere Unruhen ausgebrochen wären, die bereits bedrohliche Formen angenommen hätten. Noch am gleichen Tage alarmierte der Trautenauer Stadtrat seine Garde und das Schützenkorps, indem Hornisten durch die Straßen und Gäßchen der Stadt zum Appell bliesen. Sofort kamen sie herbeigeeilt, die alten und jungen Gardemänner und Schützen, und debattierten laut und erregt auf dem Schießstand an der Au. "Freiwillige vor!", kommandierte Schützenhauptmann Uffo Horn, als dieser ihnen die Ursache zum Alarm bekannt gegeben hatte; und siehe da, es traten beileibe nicht nur Ledige vor, sondern auch Verheiratete, die ganz und gar nicht abgeneigt waren, einmal dem Einerlei und der Enge des Alltags zu entfliehen, um ein Stück der weiten Welt kennenzulernen. Aber Uffo Horn kannte genau seine Pappenheimer; ohne sich von jemanden das geringste hineinreden zu lassen, traf er umsichtig die Auswahl. So standen am anderen Morgen in aller Früh 2 Kompanien (etwa 200 Mann) tatendurstig auf dem Trautenauer Ring zum Marsch auf Prag bereit. Nach stürmischer Begrüßung des Herrn Hauptmanns nahmen sich alle Männer durch Handschlag das Versprechen ab, einander im Leben so im Tode nicht zu verlassen. Trommeln wirbelten, Kommandos erschallten, Musikkapellen spielten einen Choral und dann marschierten sie, gegliedert nach Zügen, mit festem Schritt und Tritt unter klingendem Spiel, begleitet von tosenden Heilrufen, aber auch von Tränen weinender Frauen und Jungfrauen, durch das alte Westtor in Richtung Weigelsdork-Pilnikau ab. In Neuschloß erhielten sie die erste Verstärkung durch die Arnauer Nationalgarde unter Führung von Leutnant Fischer, zugleich stießen hier auch Kompanien, kommend aus Altenbuch, Soor, Deutsch-Prausnitz, Nimmersatt und Schurz dazu, die ein gewisser Röhrich von der Königinhofer Garde anführte. So in "Treue vereint!" wurde über Neupaka bis in die Kreisstadt Jitschin marschiert, zum Sammelplatz aller aufgerufenen Garden aus dem östlichen und nördlichen Böhmen. Das Bild, das diese Stadt in jenen Tagen bot, glich allerdings mehr einem Landsknechtlager aus der Zeit der Bauernkriege als einer kriegerischen Formation zu Zeiten Radetzkys. Alle möglichen Waffen und Uniformen waren zu sehen: Bajonette auf Stangen, Hellebarden, Vorderlader, Stutzen, Jagdflinten, Spieße, Keulen, zweiseitig geschliffene dolchartige Speere, lange Klappmesser, Beile an Knüppeln u. dergl. m., kurz Waffen, die wohl einem Götz von Berlichingen oder Florian Geyer eitle Freude bereitet hätten, aber kaum noch einem Alten Fritz. Nur die Trautenauer galten dank ihrer vorzüglichen Ausbildung und Ausrüstung als einzige "Elitetruppe", die sich sehen lassen konnte. Allenthalben wurde ihr daher auch der gebührende Respekt entgegengebracht.

Der Zulauf neuer Garden und Korps nach Jitschin riß nicht ab. Bald waren es um die 10000 Mann, die mit fieberhafter Ungeduld auf die Befehle zum Abmarsch nach Prag warteten. Doch die ersehnte Order kam nicht, obwohl die Stadt die nach Tausenden zählenden ungebetenen Gäste gern wieder los gehabt hätte. Vergeblich erwartete man die zugesagten militärischen Führer, deren Aufgabe es gewesen wäre, das ganze Unternehmen militärisch zu organisieren. Da beschloß der fast verzweifelte Jitschiner Stadtrat eine Abordnung unter kundiger Führung von Uffo Horn gegen Prag zu entsenden, um die Lage zu erkunden, während den Mannschaften bedeutet wurde, bis dahin unter allen Umständen Ruhe und Disziplin zu wahren. Die Patrouille gelangte aber nur bis Jungbunzlau, wo sie auf aus Prag kommende Kuriere stieß, die ihr nahelegten, den geplanten Großmarsch abzublasen, nachdem in der Landeshauptstadt Ruhe und Ordnung wieder eingekehrt seien. Horn bezweifelte aber diese Meldungen und wollte unbedingt "marschieren". Doch die Kuriere gaben ihm zu verstehen, dass wirklich alles zwecklos sei, ja nur üble Folgen haben könnte, sollte der Marsch dennoch durchgeführt werden. Resignierend ritten die Kundschafter nach Jitschin zurück, doch keiner von ihnen getraute sich, dies den Mannschaften zu sagen. Schließlich nahm ihnen diese heikle Aufgabe der Jitschiner Kreishauptmann Baron von Hansgirg – übrigens ein enger Freund Horns – ab. Zunächst ging freilich ein großes Murren durch die Reihen, das in einzelnen Quartieren zu einer offenen Meuterei auszuarten drohte, dennoch waren es nicht wenige, die heilfroh waren, dass statt zum Gefecht zum Rückzug geblasen wurde. Der 40 km lange Heimmarsch der Riesengebirgs-Garden wurde für den frühen Morgen des 13. Juni befohlen. War man vor wenigen Tagen trotz der zur Schau getragenen Kampfeslust mit gemischten Gefühlen ausgezogen, kehrte man jetzt um so übermütiger und gemütlicher wie nach gut gelungenem Manöver wieder heim. Schützenhauptmann Horn setzte sich wieder an die Spitze der Kolonne, tröstete seine Männer und dankte ihnen, dass sie bereit gewesen waren, als gute Österreicher ihr Vaterland zu schützen. In fast allen Orten, die passiert wurden, gab es einen festlichen Empfang, verbunden mit viel Händeschütteln, Blumenregen, Ansprachen u. dergl. und Horn hatte seine liebe Not, dass seine Schützen bei Bier und Branntwein nicht zu lange "rasteten", denn so mancher Wirt stiftete den Tapferen ein Faßl Bier oder einen Eimer Punsch. Horn selbst wurde wie ein Held aus siegreicher Schlacht bestaunt, wenn er hoch zu Roß mit seinen Getreuen durch die zujubelnde Menge ritt. Vor Pilnikau wurden die Garden aus dem Königreichwald mit feierlichen Gelöbnissen verabschiedet und mit den Arnauer wurde noch ein besonderes Heimkehrertreffen verabredet, nicht ahnend, dass dieses noch am gleichen Tage allerdings unter anderen Gründen stattfinden würde. Am späten Nachmittag wurde Weigelsdorf erreicht. Hier wollte man die letzte Rast einlegen, Aber dazu sollte es nicht kommen. Das ganze Dorf war mit Leuten überfüllt, da fast die Hälfte der Trautenauer Bürgerschaft nebst vielen Vereinsabordnungen bis hierher ihren wackeren Söhnen entgegengeeilt war, um sie mit großem Hallo zu begrüßen. Böllerschüsse erdröhnten ohne End, Musikzüge spielten Marsch auf Marsch, Bürgermeister Schmiedl hielt eine zündende Rede und dann folgte der große Begrüßungssturm. Erst nach etwa einer Stunde erfolgte unter endlosem Jubel der Einmarsch in die festlich geschmückte Lindwurmstadt, die vor Begeisterung geradezu Kopf stand. Die Gastwirte hatten alle Hände voll zu tun, um das Wiedersehen in der Heimat flüssig zu halten. Bei beginnender Nacht war noch eine Illumination und ein Fackelzug geplant. Als die Vorbereitungen dazu im besten Gange waren, ertönten plötzlich Feuersignale und – Rufe. Die meisten glaubten an einen üblen Scherz, doch dem war nicht so. In Arnau war wirklich ein Großfeuer ausgebrochen und der Magistrat hatte alle umliegenden Wehren um Hilfe gebeten. In Trautenau wurden daher sofort alle Festlichkeiten abgebrochen, und es waren die gleichen so eben noch umjubelten Männer, die, ohne zu zaudern trotz Erschöpfung von dem langen Marsch, sogleich Tschako und Gewehr mit Gürtel und Spitzhacke vertauschten, sich auf die Feuerspritzen setzten und der bedrängten Nachbarstadt an der Elbe zu Hilfe eilten.

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